“So, weiter gehts!” unsere Zeit in Japan ist zu Ende und nun geht es weiter ins nächste Land. Wie immer müssen wir uns erst einmal um die üblichen Themen kümmern. Was ist der Umrechnungskurs? 1:1. Super, das ist gut zu rechnen. Brauchen wir Bargeld und wenn ja, wo bekommen wir das her? Was sagt das Auswärtige Amt zu unserem Reiseziel? Oft ist das “Sicher Reisen” Format vom Amt zwar defensiv aber zumindest hilfreich wenn es darum geht herauszufinden, wie sicher es in einem Land aussieht. Klar, würde man den Texten dort zu 100% vertrauen wären wir vermutlich gar nicht erst losgefahren, die Berichte sind ja doch eher angsteinflößend, aber am Ende müssen wir ja zumindest darauf vorbereitet sein was da kommen könnte. Im schlimmsten Falle. Für unser nächstes Reiseziel hat das Auswärtige Amt leider überhaupt keinen Artikel, das ist etwas ungewöhnlich aber es wird schon nicht so schlimm sein. Simkarte? Erste Unterkunft nach dem Flug? Ein paar vegetarische Essensoptionen damit wir nicht verhungern? Check, Check, Check! Wir sind also mal wieder gut vorbereitet. Noch schnell ein paar Blogs oder Videos zur Kultur: Bier, Autos und Schlösser? Das ganze vermehrt im Oktober? Na gut, ist wenigstens mal was anderes und im Oktober werden wir ja auch noch dort sein… Also nichts wie los ins neue Abenteuer, die Vorfreude ist wieder groß und die Flugzeit etwas länger als üblich. Nach 2 anstrengenden Flugtagen mit wenig Schlaf, guten (und verwirrenden) Flugzeug-Filmen und einem interessanten Zwischenstopp im gigantischen Flughafen von Singapur kommen wir dann endlich an. Ortszeit 6:50 Uhr, unsere innere Uhr sagt zwar eher 13:50 Uhr aber die ist nach den letzten beiden Tagen sowieso nicht mehr zu gebrauchen. Nach einem erstaunlich unkomplizierten Einreisestop am Zoll und einer schnellen Gepäckausgabe betreten wir dann endlich das nächste Land auf unserer Reise. Zum ersten Mal seit über 10 Monaten und so vielen Grenzübertritten werden wir dieses Mal von einem geliebten Gesicht empfangen. Gabi, meine Mutter, strahlt uns müde aber glücklich auf dem Flughafengelände entgegen und wir strahlen ebenso glücklich und nur etwas müder zurück. Wir sind gesund und müde wieder angekommen, in Deutschland, in München, in der Heimat.
Nach den ersten paar Tagen in The Länd haben wir nun endlich unsere innere Zeit wieder umgestellt. Verzweifelt hatten wir versucht die Zeitverschiebung so hinzudrehen, dass unser Tag möglichst früh beginnen würde. So richtig geklappt hat das aber nicht, denn dazu sind unsere Tage hier einfach zu überwältigend. Es tut gut, die frische Regenluft in unseren Lungen zu spüren, es tut gut so viele bekannte Gesichter zu sehen, an einem Ort angekommen zu sein den wir kennen und lieben, mit den Menschen zusammen zu sein die wir schätzen und von denen wir geschätzt werden. Und viel zu schnell fliegen die Tage vorüber an denen wir mit unseren Freunden lachen und von Ländern und Geschichten erzählen, über Abenteuer und Veränderungen diskutieren. Die Zeit fliegt und ein seltsam gemischtes Gefühl macht sich langsam in meinem Herzen breit. Die Reise, die Geschichten, die Erfahrungen. All das rückt in die Vergangenheit. All das fühlt sich an wie ein wundersamer Traum, den festzuhalten mir nicht auf ewig gelingen wird. Als wäre ich vor 10 Monaten eingeschlafen und erst eben wieder in Deutschland aufgewacht. Ägypten? Ja, das ist schon so unglaublich lange her. Das Grab Tutanchamuns ein Blitzlicht in einer Tiefschlafphase, Thailand war ein sanfter Leichtschlaf-Traum und Japan, ja, selbst Japan, rückt jeden Tag weiter in die REM-Phase zurück. Hier in Deutschland fühlt sich alles so unwirklich ähnlich an wie vor unserem Traum. Das Haus steht noch in der selben Straße, wenn auch wundervoll renoviert, die Geschichten und Diskussionsthemen sind noch die selben, das Projekt in der Firma läuft noch wie am Schnürchen. Es fühlt sich wirklich surreal an. Wie kann es sein, dass wir in diesem einem Jahr so viel erlebt haben, so unvorstellbar viele Erinnerungen aufgehäuft haben, zahllose Orte, Menschen und Geschichten kennengelernt haben und dennoch hier “Alles beim Alten” ist? So muss sich ein Zeitreisender fühlen, der einfach mal ein Jahr in die Zukunft gesprungen ist und am Ende gar nicht bemerkt, ob er nicht vielleicht doch noch in der Gegenwart weilt. Ein intensiver Traum und eine Zeitreise, war es das, was wir da gemacht haben?
Jetzt sind schon 3 Wochen Deutschland rum. Das ist länger als unsere Zeit in Jordanien! Länger als Petra, die rote Wüste, das Canyoning, die römische Karte, der leckere Hummus und das tote Meer? Die Zeit verfliegt wie im Fluge, nein, eigentlich fliegt sie eher in Überschallgeschwindigkeit an meinem Kopf vorbei, lässt mir keinen Moment zum Durchatmen, gibt mir kaum die Gelegenheit einmal darüber zu sinnieren was da gerade passiert ist. Es fühlt sich einfach immer noch surreal an, zurück zu sein, einfach so weiterzumachen wie zuvor. Natürlich werden wir das nicht und sicher, wir machen ja erstmal nur einen kleinen Zwischenstopp für die nächsten 3 Monate bis es dann weiter nach Lateinamerika geht. Aber schon jetzt frage ich mich: Wie kann ich meine zukünftige Zeit, mein Leben so intensiv gestalten wie die letzten 10 Monate? Wie schaffe ich es, in einem Jahr zurückzublicken und wieder bei der Erinnerung an jeden einzelnen Tag ein schneller schlagendes Herz, ein wärmendes Gefühl, ein Lächeln auf die Lippen zu bekommen? Ich möchte nicht schon wieder da stehen und wieder einmal lakonisch anmerken müssen, dass schon wieder ein Jahr rum sei. Wie schnell die Zeit doch vergehe. Was muss ich ändern, was kann ich tun um auch meinen Alltag in Deutschland interessant und erinnerungswürdig zu gestalten?
Das klingt jetzt sicher ein wenig undankbar. Als hätte sich nichts getan in der Heimat, als wäre hier nichts passiert. Das stimmt natürlich nicht, denn tatsächlich hat sich an vielen Stellen das ein oder andere verändert. Das Haus ist renoviert, ein Umzug ist vollendet, eine Ausbildung abgeschlossen oder ein weiteres Studienjahr herumgebracht. Aber immer wieder bekommen wir von unseren geliebten Freunden gespiegelt, die Zeit sei so schnell vorübergezogen. Dass es sich nicht so anfühle, als seien wir 10 Monate getrennt gewesen. Doch genau dieses Gefühl kann ich einfach nicht teilen. Sicher, wenn wir uns nun wieder mit unseren Freunden treffen fühlt sich das noch so an wie früher. Wir lachen gemeinsam, schlemmen immer noch bis unsere Mägen platzen und haben so viel Spaß wie eh und je. Aber die letzten 10 Monate waren mit Abstand die längsten 10 Monate meines Lebens. Ich kann mich wirklich an jeden Ort den wir besuchten erinnern, für jede Woche unserer Reise habe ich eine Story im Hinterkopf. Ich habe Herzklopfen wenn ich an Petra, Ankhor Wat oder Saigon denke und für mich fühlte sich unsere Zeit eher wie 3 Jahre an als die läppischen 10 Monate die meine Kalender-App mir verkaufen möchte.
Und dennoch bin ich derzeit unglaublich glücklich wieder in Deutschland zu sein. Ich freue mich über die Nähe zu geliebten Menschen die wir beide vermisst haben, über die frische Luft und die wundervollen deutschen Wälder. Wenn ich mal einen kleinen Urlaub brauche gehe ich einfach in einen Edeka, einfach nur zum Bummeln. Da stehe ich dann voller Entzücken minutenlang vor dem Veggie-Regal und staune über vegetarische Salami. Dann bummle ich durch die vielen vollen Regale und genieße einfach, so viel Auswahl zu haben. Früher wäre ich von einem Supermarkt eher gestresst gewesen, heute ist das für mich die reinste Seelenbaumelei. Ich genieße es auch, meine ArbeitskollegInnen wieder zu sehen und mit ihnen über Technik oder Politik zu philosophieren. So viele bekannte Gesichter zu sehen macht mich glücklich. Der ultimative Luxus aber zeigt sich jeden Tag im kleinsten Detail. Wenn ich abends nach einem schönen Tag mit meinen Freunden vor dem Badezimmerspiegel stehe, meine Mundwinkel mittlerweile schon müde vom Lachen, dann nehme ich mir meine elektrische Zahnbürste (Hört, Hört, sie ist elektrisch!) und erlaube mir etwas, dass es während der vergangenen 3 Jahre nicht gegeben hat. Ich gönne mir den Luxus, schon vor dem Zähneputzen meine Borsten mit dem heiligen deutschen Bodenseewasser zu bespränkeln. Da tropft es nun, das flüssige Gold, hinunter auf den leckeren Elmex-Klex und mit einem zufriedenen Lächeln stecke ich mir dieses frische Kunstwerk, diese Ode an die Feuchtigkeit in den Mund. Das mechanische Surren beginnt, meine Augen schließen sich und ich genieße das Gefühl absoluten Reichtums.

