Die Entstehung der Welt, die Geburt des ersten Tenno, eine glückliche Zukunft und die Geister der Natur. Für das alles und noch viel mehr hat der in Japan beheimatete Shintoismus eine Antwort parat. Diese Religion, die weltweit auch für ihre perfekt geformten Schrein-Tore berühmt ist, sorgt in Japan dafür, dass es überall zauberhaft friedliche Orte gibt. Denn jeder Shinto-Tempel, oder eben Schrein, ist so angelegt, dass er Ruhe verströmt, den Menschen Raum für Kontemplation gibt und es erlaubt, einfach mal die Seele baumeln zu lassen. Selbst wenn man eigentlich inmitten der gigantischen Großstadt Tokyo herumwandert findet sich immer alle paar Kilometer ein Schrein in dem man nur zu einfach vergessen könnte welch Trubel drumherum herrscht. Einer der bekanntesten Shinto-Schreine Tokyos ist der Meiji-Schrein, mitten im Herzen Tokyos.

Als wir an der Metro-Station ausstiegen und auf unsere Navigation schauten waren wir zuerst verwirrt. Wir standen mitten am Rand eines mehrere Hektar großen Parks, wild gewucherte jahrhundertealte Bäume und Bambus-Wälder streckten sich bis in schwindelige Höhen über unsere Köpfe doch von einem Schrein war weit und breit nichts zu sehen. Wir wanderten ein paar hundert Meter bis an eine Ecke des Parks und fanden dann dort, am Rand des Waldes, ein riesiges, majestätisches Holztor dass uns auf einem schattigen Weg in den Wald führte. Das Tor war makellos und wie es da vor uns stand schien es uns einzuladen, einfach mal einen Gang zurück zu schalten. “Kommt herein und ich zeige euch, wie schön die Natur eigentlich sein kann” schien es uns freundlich entgegenzurufen. Wir folgten diesem Aufruf natürlich direkt und schritten durch die perfekte, friedliche Holzkonstruktion die, wie wir später erfahren sollten, alle 20 Jahre komplett abgerissen und neu erbaut wird. Denn im Shintoismus ist diese Selbstreinigung ein jahrtausendealtes Ritual das sicher auch dazu beigetragen hat, dass es in Japan kaum noch unberührte Wälder gibt. Aber macht euch keine Illusionen, die Wälder hier sind dennoch allemal älter und friedlicher als die meisten Baumschulen sonst wo.

Nachdem wir dann also so freundlich eingeladen wurden wanderten wir nun durch den schönen Wald. Zu allen Himmelsrichtungen sprossen und verrenkten sich alte Bäume zusammen mit frischen Bambus-Wäldern, Wasserlilien-Teichen und kleinen, alten Shinto-Geisterstatuen die hier schon seit ein paar Jahrhunderten darauf aufpassten, dass keine Seele auch nur daran denken könnte sich zu stressen oder unruhig zu werden. Unser Herzschlag wurde spürbar langsamer und wir genossen gemeinsam mit einigen anderen japanischen Touristen diesen friedlichen Ort. Besonders schön fanden wir direkt, dass wir merkten dass unsere japanischen Mitbesucher die selben Interessen und Vorlieben zu haben schienen wie es auch deutsche Touristen hätten. Bisher haben wir nirgendwo sonst Menschen mit solch einer Motivation auf dem Boden kriechen sehen um auch ja die beste Perspektive einer im Sonnenlicht blühenden Lilie einzufangen. Hier kamen Großeltern mit ihren Enkelkindern her, verliebte Paare streiften durchs Unterholz und Schulklassen wanderten brav und angenehm still über die großen Wege durch den Park.

Im Zentrum dieser grünen Oase befand sich dann der eigentliche Schrein. Ein eher unscheinbarer, symmetrisch angerichteter, einstöckiger Bau mit mehreren Innenhöfen. Die Besuchenden waschen sich vor dem Eintritt die Hände und das Gesicht und haben dann die Möglichkeit, vor einen Altar zu treten und mit ein paar Händeklatschern und Verbeugungen ihren Respekt vor der Religion zu zeigen. Allerdings gab es hier im Gegensatz zu den meisten anderen religiösen Stätten eigentlich gar kein so richtiges Objekt der Anbetung, zumindest ist uns keines aufgefallen. Hier war keine Statue Buddhas und auch keine am Kreuz leidende Jesus-Figur. Für das Seelenheil und die erfolgreiche Karriere reicht ein einfaches Klatschen aber scheinbar noch nicht. Denn in den verschiedenen Innenhöfen der Shinto-Schreine gibt es eigentlich immer die Möglichkeit, für ein bisschen Geld Glücksbringer oder beschriebene Tafeln zu kaufen. In verschiedene Preiskategorien gestaffelt ist es dann möglich entweder nur eine günstige glückliche Woche, ein etwas teureres gesundes Leben oder eine wirklich kostbare erfolgreiche Karriere zu erwirtschaften. Für den kleinen Geldbeutel gibt es aber auch noch die Möglichkeit, einen Glücksstab aus einer hölzernen Box zu schütteln und dann die entsprechende Glücksbotschaft aus einem Regal zu nehmen. Gefällt diese Vorhersage nicht ist das auch kein Problem, dann kann man einfach den Zettel an einer eigens dafür eingerichteten Schnur anknoten und die Geister werden sich dem Problem annehmen.

Wie an besonders schönen oder religiösen Orten in Deutschland gibt es auch hier immer wieder glückliche Paare, die sich dazu entscheiden sich vor den Geistern trauen zu lassen. Wir beobachteten ein junges Ehepaar, das sich gerade für das perfekte Hochzeitsfoto zusammen mit der Familie herrichtete. Oder vielleicht sollte ich eher herrichten ließ schreiben, denn selbst Hand anlegen war hier schon lange nicht mehr angesagt. Die in zeremoniellen Klamotten gekleideten Hochzeitsgäste wurden nacheinander neben das Brautpaar platziert und dann beobachteten wir, wie gut und gerne 10 Minuten an den Gästen herumgezupft wurde bis auch wirklich jede Falte an der richtigen Position war. Besonders improvisiert oder spontan war an diesen Fotos nichts mehr aber immerhin kann man sie dann sicher ohne dass sie auffallen neben die Fotos der anderen 10 Hochzeitsgenerationen an die Wand nageln.

So ganz verstanden haben wir den Shintoismus natürlich noch lange nicht. Er erzählt von Naturverbundenheit, Geistern und dem ewigen Leben in einer unangenehmen Nachwelt. Er ist in den 1700 Jahren seit seiner historischen Manifestierung auch sehr stark mit dem später hinzukommenden Buddhismus verwachsen und hat selbst für die japanischen Historiker noch so einige Wunder parat. Zum Beispiel ist der japanische Kaiser in direkter Linie mit der Sonnengöttin Amaterasu verwandt, was sich aber historisch nur schwer nachvollziehen lässt da der Kaiser es bis heute nicht erlaubt dass die dynastischen Grabhügel archäologisch begutachtet werden. Doch auch wenn wir nur sehr wenig von dem Verstehen, was dort passiert schafft es der Shintoismus wie kaum eine andere Religion, dass unsere Köpfe und Gedanken sich beruhigen. Er schafft überall im Land Orte des Friedens und der Ruhe. Orte, an denen wir uns von einer intensiven Reisezeit erholen können und einmal mehr zu uns selbst finden.