Eine ehemalige Hochkultur und ein fanatisches katholisches Land stießen aufeinander. Der spanische König war erpicht darauf, alle neuen Völker zum Katholizismus zu konvertieren, ihm war dabei völlig egal was die Menschen für eine Religion mitbrachten, was sie dachten oder hofften, von den Fremden zu erlangen. Die Mayas hingegen hatten zwar schon den Zenith ihrer Größe längst hinter sich gebracht, dennoch gibt es abertausende Geschichten zu bewahren, Bräuche zu pflegen, Tage zu heiligen und die Ahnen zu erinnern. Das bei dieser Mischung nicht alles so ablaufen würde wie geplant war wahrscheinlich schon vorprogrammiert. Die Mayas entzogen sich über 200 Jahre lang immer wieder dem spanischen Einfluss, die hoheitlichen Truppen und vor allem die Missionare pilgerten in immer unzugänglichere Gebiete und nach und nach mussten selbst die Mayas erkennen, dass eine völlige Trennung beider Welten einfach nicht mehr funktionieren würde. In den Bergen um San Cristobal, tief im Hochland an der Grenze zu Guatemala, zeugen auch heute noch viele kleine, indigene Communities von den damaligen Kulturclashes. Hier gibt es sie noch, die Mayas. Die Nachfahren jener sagenumwobenen Gestalten seltsamer Nomenklatur.

Sie wohnen zum Beispiel in Chamula, einem Dorf nur eine Fahrtstunde von San Cristobal entfernt. Auch wenn es hier rein auf den ersten Blick eher wie ein kleines katholisches Dorf aussieht kommt doch schon nach dem zweiten Hinsehen ein seltsam ungewohntes Gesamtbild zustande. Da gibt es zum Beispiel den Friedhof mit Gräbern, welche, nicht in den Boden versenkt, mal mit Kreuzen in unterschiedlichen Farben, mal mit Tannenzweigen oder Blumen geschmückt sind. Vielleicht ein wenig ungewohnt, aber durchaus christlich. Wenn da nicht die vielen Opfergaben wie zum Beispiel Coladosen, Essensteller oder Bierflaschen ständen, die die viel besuchten Grabstätten der Vorfahren zu etwas seltsam unbekannt Bekannten verwandeln würden. Die Einwohner Chamulas, die in ihrer ganz eigenen Tracht, einem mehr oder weniger langen schwarz-gewobenen “Fell”-Rock, durch die Gräber wandern beachten uns Fremde eigentlich kaum. Sie haben sich mittlerweile daran gewöhnt, den ein oder anderen Touristen in ihr Dorf zu lassen und kümmern sich viel eher darum, schnell noch ein geheiligtes Grabkreuz vor den anderen vieren ihres Verstorbenen anzubringen, denn natürlich ließe sich keines der alten, abgenutzten Kreuze einfach so entfernen. Immerhin sind in ihnen schon die Seelen der Verstorbenen verwoben.

Nur zwei Straßenzüge weiter würde dann selbst dem liberalsten Pfarrer Deutschlands ein wenig mulmig zumute als wir in einen Tempel eines der Community-Oberhäupter treten. Vor uns erstreckt sich eine Blumenwand die den Blick auf einen Heiligenschrein verdeckt, welcher aber ohnehin dank der vielen Weihrauchgefäße in Tierform kaum zu sehen wäre. Die Blumen hängen von einer herabgesetzten Pflanzendecke und bilden einen kleineren, privaten Raum den nur der Tempeldiener betreten darf. Aus Respekt gegenüber der Statue wird ein Pox, ein Maya-Schnaps aus Mais, gereicht. Während wir uns also noch mit unseren brennenden Gaumen beschäftigen erfahren wir so einiges über die Gebräuche der Chamula-Gemeinde. Der Tempeldienst zum Beispiel ist freiwillig und zwar hoch angesehen, aber auch verdammt teuer. Immerhin muss immer für frischen Pox, Räucherharz und Blumen gesorgt werden. Das kann gut und gerne mal über 10.000 Euro im Jahr verschlucken, bedenkt man die Feierfreudigkeit der Gemeinde und der Heiligenstatue. In Chamula dürfen nur Menschen leben, die hier geboren wurden, mit Ausnahme der ein oder anderen angeheirateten Frau. Fremde Männer sind tabu und die hiesigen leben, so sie es sich denn leisten können, in polygamischen Eheverhältnissen. (Also die Männer natürlich). Immerhin sind die Ehen nicht arrangiert. Für besagte Festivitäten wird nach wie vor das Maya-Kalendersystem verwendet und so kommt man hier über das Jahr hinweg sicher nicht zu kurz was das feiern angeht.

Noch viel spannender wurde es während unseres Besuchs aber in der zentral gelegenen Kirche Chamulas. Auch hier gilt wieder: Im ersten Moment “fein katholisch mit Hang zu mittelalterlichen Deckenbehängungen”, auf den zweiten Blick aber passieren hier Dinge, die noch nichtmal in einem Albtraum des Papstes Platz fänden. So kommen die Einwohner regelmäßig zu ihren Lieblingsheiligen um zusammen ein Huhn zu opfern. Dabei werden in feinster Choreographie die schlechten Geister und Zukünfte der Anwesenden einfach auf das Huhn übertragen, welches dann direkt im Anschluss verstirbt. Eigentlich ganz praktisch und wahrscheinlich wesentlich entspannter als bis zu drei Tage am Kreuz zu hängen. Hinter den Heiligenstatuen, die im Übrigen auch christlicher Natur waren und von denen es hier eine unbeschreibliche Vielfalt gibt, verstecken sich weitere alte Traditionen in Form von Schildkrötenpanzern und Tieropfertischen. Neben jeder solchen Statue saß ein passender Priester, erleuchtet von tausenden von auf dem Boden platzierten Kerzen, der sich um das Wohlergehen der Heiligen kümmerte. Um die Kerzen herum war über den gesamten Boden Kiefernnadeln ausgelegt die sowohl einen angenehmen Waldduft verteilten und außerdem auch das Knien während den Opferungen angenehmer gestaltete. Das ganze noch eine Kirche zu nennen war wohl eher ein Geniestreich des hiesigen Missionars um den spanischen König zu besänftigen als eine ernstgemeinte christliche Angelegenheit. Aber umso spannender für uns Besucher, denn so lässt sich zumindest ein Hauch der Geschichte in der ansonsten weihrauchschwangeren Luft erahnen.

Chamula und auch das benachbarte zweite indigene Dorf das wir besuchen durften hat uns schwer beeindruckt. Was vielleicht beim Lesen wie eine ziemliche Touristen-Tour klingt war vor Ort tatsächlich weit weniger tragisch. Wir hatten schon befürchtet durch eine Art Museumsdorf zu stapfen wie wir es schon einmal in Peru taten, mit hindrapierten “alten Gebräuchen” und einstudierter indigener Tanzmusik. Glücklicherweise war dem aber überhaupt nicht so. Viel eher bekamen wir den Eindruck, dass in Chamula einfach gelebt wird. Man kommt zwar als Fremdkörper in diese Gemeinde hinein, diese kümmert sich aber so gar nicht um dich und lebt stattdessen einfach vor sich hin. Da wurde um handgewobene Teppiche auf dem Markt gefeilscht, ein paar gebratene Leguane gegessen, ein Grab neu hergerichtet oder ein bis zwei Hühner geopfert. Dadurch konnten wir gleichzeitig mehr über die Mayas von heute lernen und sehen, wie eine spannende Vermischung von zwei völlig unterschiedlichen Kulturen letzten Endes doch funktionieren kann. Dieses Dorf ist ein lebender Beweis für die Standhaftigkeit und den überaus interessanten Kulterenmix der Mexiko so einzigartig macht. Über 27 verschiedene Sprachen, weit mehr unterschiedliche Lebenswelten und die ganz ehrliche Herzlichkeit, die das alles miteinander funktionieren lässt.