Die japanische Teezeremonie ist ein seit Jahrhunderten gepflegtes Ritual bei dem es um Achtsamkeit, Ruhe und Selbstbesinnung geht. Über die Jahrhunderte des Teetrinkens hat sich dieses Ritual so weiterentwickelt, dass nicht allein das Trinken des Tees, sondern vielmehr die Entspannung und das friedliche Zusammenkommen im Zentrum stehen. Jede Handlung und jede Regel dieser Zeremonie zielt darauf ab im Hier und Jetzt anzukommen, aufreibende Themen wie Emotionen, Politik oder Religion haben in einem Teeraum keinen Platz. Es gibt in Japan eine ganze Hand voll Teeschulen die sich alle auf ihre Anfänge bei den mittelalterlichen buddhistischen Mönchen berufen und versuchen, die Herstellung, Präsentation und das Servieren von Matcha zu vermitteln. Das früheste Zentrum der japanischen Teekultur entstand in Kyoto und ich besuchte dort ein kleines Teehaus etwas außerhalb der Innenstadt um selbst einmal Zeuge von diesem Ritual zu werden. Natürlich auch, um mal wieder genüsslich eine Schale Matcha zu schlürfen! Ich möchte dich heute mitnehmen in die japanische Teekultur, in dieses gemütliche Teehaus im Hinterhof einer belebten Straße und auf die Tatami-Matten des Camellia-Teehauses.
Unsere Teezeremonie beginnt mit der Begrüßung der Gastgeberin. Alle Gäste sitzen in einem Halbkreis in einem halb abgedunkelten traditionell japanischen Zimmer auf Tatami-Matten mit Sitzkissen. Leichtes Sonnenlicht scheint indirekt durch die Papierfenster und im Hintergrund ist nur noch das leise Brodeln eines gusseisernen Wasserkessels zu hören der vor uns auf dem Boden steht. Die Gastgeberin, eine ältere Dame in bedeckt gehaltenem Kimono betritt das Zimmer und kniet sich langsam auf den Boden neben den Kessel. Sie verbeugt sich tief und begrüßt so ihre Gäste mit einem leichten Lächeln. Mit leiser Stimme erzählt sie uns kurz etwas über die Geschichte des Tees und erklärt die einzelnen Utensilien die da neben ihr im Kochbereich liegen, einer Aussparung zwischen den Tatami-Matten um die Gefahr eines Feuers mit den Bastmatten zu verhindern. An der Seitenwand hängt eine japanische Shodo-Schriftrolle, ein weißes Papier mit großen Schriftzeichen aus Tinte, darunter eine angedeutete Darstellung eines Säuglingskopfes. Das sei das Ziel heute, beschreibt unsere Gastwirtin, unsere Wahrnehmung und die Gedanken auf das Niveau eines Babys zurückzuführen. Anzukommen im Moment ohne störende Erinnerungen, verwirrende Politik oder die großen Emotionen. Dann beginnt sie mit der eigentlichen Zeremonie.
Aus ihrem Kimono zieht sie ein rotes Tuch, entfaltet es und faltet dann aufwändig auf ihrer linken Hand eine quadratische Form aus dem Stoff. Jede ihrer Bewegungen scheint sorgfältig einstudiert, ihre Hände zittern leicht unter der konzentrierten Arbeit. Mit dem Tuch reinigt sie nach und nach die verschiedenen Gegenstände die vor ihr liegen. Sie reinigt den Bambusschöpflöffel, die alte Matcha-Schale und sogar die kleine, zierliche Box in der das grüne Gold verborgen liegt. Der dünne Bambuslöffel für das Matchapulver wird natürlich auch nicht vergessen. Für jeden Gegenstand scheint sie eine eigene Faltung zu haben, denn das rote Tuch wird immer wieder neu auseinandergelegt und gefaltet, mal etwas länglicher für den Löffel, mal etwas breiter für die runde Schale vor ihr. Behutsam wird jeder Gegenstand wieder an seinen Platz gestellt, die Schale exakt mit ihrer schönsten Frontalseite zur Gastwirtin gedreht. Dieses Reinigungsritual, so erklärt sie später, reinigt nicht nur symbolisch die ohnehin schon sauberen Teeutensilien, sondern soll auch den Raum und die Seele der Gäste von unguten Gedanken befreien. Als letzte Tat hebt sie dann mit dem roten Tuch den metallenen Deckel vom Wasserkessel und eine leichte Dampfwolke entweicht in den nun sauberen Raum.
Als nächstes wird mit dem großen Schöpflöffel ein wenig kochendes Wasser in die Schale gegossen, darin geschwenkt und in einer fließenden Bewegung in die Abwasserschale nebenan geschickt. Die letzte Reinigung ist vollbracht und die Schale ist bereit. Nun wird die runde Box mit dem Matcha sanft geöffnet und der Bambuslöffel hebt mit 2 bedachten Bewegungen ungefähr 2 Gramm feinsten Matcha in die Schale. Um die richtige Wassertemperatur zu erreichen wird ein großer Löffel kaltes Wasser in den Kochkessel gegossen. Erst in diesem Moment bemerke ich, wie ruhig meine Gedanken und unsere Umgebung wurden. Denn mit dem kalten Wasser beruhigte sich auch die letzte Geräuschquelle, das Brodeln des kochenden Wassers, und völlige Stille umgab die gespannten Zuschauer. Mit dem Bambuslöffel wird schnell eine kleine Menge nun nicht mehr kochenden Wassers aus dem Kessel in die Matchaschale gegossen. Dann wird der feine Matchabesen, eine Art feinster Schneebesen aus Bambusholz, dazu genutzt das Teepulver mit dem Wasser zu vermengen. Zunächst langsam und bedächtig, dann immer schneller um den feinen, charakteristischen Schaum zu provozieren. Nach ein paar Sekunden beruhigt sich der Besen wieder und wird dann in einer geschwungenen Bewegung aus der Schale gehoben. Der Matcha ist bereit.
Noch bevor wir den Matcha anrührten bekamen wir eine kleine Süßigkeit serviert. Diese gehört zum Matchagenuss immer dazu, normalerweise wird sie sogar mit dem Getränk gegessen. Doch während einer Zeremonie werden beide Bestandteile getrennt genossen. Im Halbkreis wurde der Teller mit den rechteckigen Süßwaren weitergereicht. Jeder Gast nahm sich eine der durchscheinenden Leckereien, nicht ohne sich zuvor auf japanisch beim nächsten zu entschuldigen, ihm vorangegangen zu sein. Denn die Harmonie ist wie schon beschrieben im Vordergrund dieses Zusammenkommens und Neid hat hier keinen Platz. Wir alle kauten ein paar Sekunden auf dem mit der Yuzu-Frucht gefüllten Schmankerl herum und es war uns richtig anzusehen, dass wir mit jeder weiteren Minute ruhiger und entspannter wurden.
Nun war der Tee an der Reihe, wir alle waren schon ganz gespannt. Um den Matcha dann aber auch zu Trinken ist es wichtig, nicht an der frontalen Seite der Schale anzusetzen. Diese ist dem Gastgeber vorbehalten und enthält einen zumindest mal symbolischen Gruß der nicht beschmutzt werden darf. Also wird die Schale auf die linke Hand gestellt und zwei mal leicht im Uhrzeigersinn gedreht so dass die Zierseite nach links schaut. Nun heißt es Genießen. In so einer Schale Matcha ist zwar eigentlich nicht allzu viel Flüssigkeit enthalten, doch der cremig, farbenreiche Geschmack des Tees bietet genug Tiefe um auch die geringe Menge zu einem Geschmackserlebnis auszuweiten. Da kaum bis gar nicht während der Zeremonie gesprochen wird ist es üblich, den letzten Schluck Matcha mit einem leichten Schlürfer zu genießen. So zeigt man seine Dankbarkeit und die Anerkennung für den Tee und vor Allem den Gastgeber. Zusätzlich wird sich natürlich auch zu jeder sich bietenden Gelegenheit verbeugt. Die Schale wird dann wieder zweimal gegen den Uhrzeigersinn gedreht um die schöne Vorderseite zu Gesicht zu bekommen und nun langsam vor sich auf den Boden gestellt. Noch einmal eine tiefe Verbeugung und der Zauber der Zeremonie verflüchtigt sich ruhig.
Auch Stunden nach der Teezeremonie spürte ich noch die Tiefe Achtsamkeit und Ruhe dieser Erfahrung. Mir ist klar, das Begriffe wie Achtsamkeit eine moderne Beliebtheit erhalten haben vielleicht nicht auf dieses historische Ritual anwendbar sind, doch die Mönche des Zen-Buddhismus die diese Zeremonie erfanden müssen sich auf die ein oder andere Weise mit diesen Konzepten beschäftigt haben. So ist die japanische Teezeremonie ein Prozess, der perfekt in den Achtsamkeitstrend hineinpasst, der eine Ausflucht vom geschäftigen Alltag bietet und die Seele zur Ruhe bringt. Am Ende ist es eben nicht nur eine Schale voll teurem Tee, sondern vielmehr eine beruhigende Erfahrung für die es sich lohnt ein wenig mehr Zeit zu investieren als üblich. Matcha ist Balsam für den Magen, die Teezeremonie ist es für den Geist.




