Im freien Fall

Mexiko ·   ·  5 min zu lesen

Noch vor Beginn unseres zweiten Reiseabschnitts habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht wie es denn sein würde, wieder so lange auf Reisen zu sein. Fern von unseren Freunden, von einem geregelten Alltag oder einfach nur dem so geliebten Veggie-Regal im Supermarkt. Waren wir schon wieder vorbereitet auf die ständige Reiseplanung, auf die tägliche Restaurantsuche, auf neue Eindrücke und ein Leben aus dem Rucksack? Ist Mexiko wirklich sicher zu bereisen? Werden wir auch dieses Mal gesund zurückkommen?

Nach unseren ersten Tagen auf Cozumel mit Karibik-Flair und langen Sandstränden waren meine Sorgen noch nicht so ganz in Luft aufgelöst, denn so schön Cozumel und das danach besuchte Tulum auch war, waren es doch auch zwei Orte die schon ziemlich stark im Tourismus abgetaucht waren. Es fühlte sich nicht persönlich an, durch dichte Straßenstände touristischer Ware nur ab und zu einen Blick auf das mexikanische Leben zu bekommen. Cozumel war ein Schnorchel- und Naturparadies, aber zu sagen es wäre touristisch erschlossen wäre vermutlich eine Untertreibung. Tulum war dazu nur nochmal eine ganze Schippe obendrauf. Im herausgeputzten Stadtzentrum reihten sich Boho-Shops und edelste Cafes aneinander, aber nur zwei Blöcke weiter wurde sichtbar wie absurd sich dieser Ort am Tourismus orientiert und wie wenig die lokale Bevölkerung vom vermeintlichen Reichtum dessen abbekam. Gleich um die Ecke vom Hipster-Vegan-Yoga-Retreat waren weite Straßenzüge voller Wellblechhütten, Buckelpisten und bitterer Armut. Ein Kontrast, der einem den süßen Geschmack des neuen, des Unerwarteten ziemlich verbitterte.

Nach ein paar Tagen in Tulum ging es dann für uns landeinwärts nach Valladolid, in das wir uns sofort verliebten. Enge, bunte Straßenzüge voller mexikanischer Lebenslust, kleine verzierte Schreine vom eben erst vergangenen Dia de los Muertos und zahlreiche “antike” Gebäude zeugten von einem mexikanischen Flair, den wir zuvor noch nicht kennengelernt hatten. Wir entschlossen uns direkt, für eine Weile vor Ort zu bleiben und ich hatte schon einen weiteren Kurs gebucht, ein bisschen die Luft zu atmen und den Druck aus unserer Reise zu nehmen. In Valladolid lebt nämlich der beste Freitaucher Nordamerikas, Alejandro Lemus. Er h’lt gleich mehrere Tiefen- und Distanzrekorde schon seit etlichen Jahre. Nachdem ein großes Highlight der ersten Reise für mich die Entdeckung des Freitauchens war war ich natürlich mehr als nur erpicht darauf, mehr darüber zu lernen und ich muss sagen, es gibt wohl wenig bessere Orte für einen Freitauchkurs als Yucatan mit seinen berühmten Cenoten.

“Cenoten, noch nie gehört?” fragst du dich jetzt vielleicht? Im Prinzip ist es ganz einfach. Yucatan ist eigentlich ein recht flacher Landstrich. Da der Boden aus Kalkstein ist gibt es auch überhaupt keine Flüsse auf dieser Halbinsel. Was erstmal halb so erfrischend klingt ist aber nur ein Teil der Wahrheit, denn anstatt langweiliger Flüsse mit langweiligen Namen (Nein, eigentlich sind Flussnamen ziemlich interessant) gibt es hier eben jene Cenoten. Das sind eingebrochene Unterwasserhöhlen die mal tief, mal breit, mal klar aber immer mit kaltem Süßwasser gefüllt über die Halbinsel verteilt sind. Manche Cenoten sind oberirdisch nicht mehr als ein unscheinbarer Weiher aber breiten sich dann unterirdisch auf bis zu 80 Meter tiefe in riesige, verzweigte Wasserhöhlen aus. Eine epischere Bühne für des Freitauchers zweiten Akt kann man sich also eigentlich nicht vorstellen.

Während ich bei meinem ersten Kurs vielleicht sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen wurde und nach ein wenig, aber im Nachhinein vielleicht nicht gerade ausreichender Theorie, direkt ans Tauchen gewöhnt wurde war mein zweiter Kurs eine wesentlich holistischere Angelegenheit. Ich lernte was die Lunge eigentlich wirklich macht, wie es sein kann dass der Körper nicht ab einer gewissen Wassertiefe implodiert und wie ich ihn bestmöglichst auf die Tiefe vorbereiten könnte. Ich lernte mich richtig zu dehnen, die besten Entspannungsmethodiken und übte sowohl im als auch außerhalb des Wassers zu verstehen, wie mein Körper auf fehlende Luftzufuhr reagieren würde. Aber das absolute Highlight meiner neuerlichen Tieftaucherei war sicher das, was nach ungefähr 15-18 Metern Tiefe passiert. Der Freie Fall. Denn nachdem man die ersten Meter hinab sich ziemlich anstrengen muss nicht einfach wieder an die Wasseroberfläche zu treiben geschieht in dieser Tiefe etwas magisches. Der Wasserdruck, das dadurch schwindende Lungenvolumen und der unbedingte aber völlig entspannte Geist des Tauchers zieht dich nämlich immer tiefer hinab in die Dunkelheit. In das Ungewisse und sicher auch in die Aufregung, die, nebenbei bemerkt zu Beginn immer dafür sorgte, dass ich den Druckausgleich vergaß (Keine sonderlich ratsame Idee!). Es ist wirklich ein erhebendes (oder vermutlich eher ein ersinkendes) Gefühl ohne irgendeinen Finger krümmen zu müssen am Seil entlang hinabzugleiten.

Schnell lernte ich, dass sobald ich den Freien Fall erreichte das Wichtigste wäre, sich völlig zu entspannen und einfach nur zu genießen. Es gilt dann abzulassen von Ängsten oder unruhigen Gedanken, von verkrampften Muskeln oder unsicheren Bewegungen. Die reine Entspannung würde mir dort unten helfen, einfach loszulassen. Nur so käme ich tiefer als zuvor, entspannter. Als ich das verinnerlichte bemerkte ich, dass jede Angst gemächlich einem völligen Glücksgefühl wich. Meine Gedanken wurden ruhiger, meine Umwelt immer leiser und meine Sorgen drangen immer weiter in den Hintergrund. Ich glitt immer tiefer, erreichte den Grund der Cenote und machte mich langsam aber sicher wieder auf den Rückweg. An mir entlang flogen Kalksteinformationen, Stalak-(Was-auch-immer-titen) und erste Lichtstrahlen glitten über mein entspanntes Lächeln. Auf halbem Weg kommt dann meine Tauchpartnerin entgegen und zu zweit gleiten wir die letzten 10 Meter fast mühelos wieder hinauf zur Boje. Mein nächster Tauchgang ist abgeschlossen, die 25 Meter habe ich hier ohne mit der Wimper zu zucken geknackt und es fühlte sich an wie ein Kurzausflug ins endlose Blau.

Irgendwie, kam mir dann einige Tage später, ist das auch eine Lehre, die sich so schön und elegant auf unsere zweite Reise anwenden lässt. Mag sein, dass mal der Druckausgleich nicht klappt, mag sein dass mal ein Nachtbus nicht kommt oder eine Ort nicht unseren Vorstellungen entspricht, aber eigentlich, nein ganz sicher werden wir auch dieses Mal so unbeschreiblich viele Erfahrungen machen und am Ende sicherlich entspannter und glücklicher denn zuvor wieder auftauchen. Eigentlich genügt es, nur ab und zu einen tiefen Atemzug zu nehmen und die Sorgen Sorgen sein zu lassen.

Robin

Der Ersteller und Maintainer dieses Blogs. Außerdem scheint er gerne zu jonglieren...

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