„Is this another OMG spot?“
fragt Karen ihren Tourguide als sie mit ihrer Flip-Flop-Gang über die ca. 1900 Jahre alte Straße hechelt. „Oh yes, this is another OMG spot. You already knew it! It’s awesome, right?“ bekommt sie als Antwort enthusiastisch zugerufen. Doch die Antwort scheint wohl nicht mehr nötig denn in der Gruppe bilden sich schon die mittlerweile etablierten Abläufe für OMG Spots. Karen macht sich nochmal hübsch und überlegt welches der beiden Beine sie dieses Mal zur Kamera dreht. Ihr Freund guckt sich nach dem geeigneten Drehort um und wir versuchen eigentlich nur aus dem Weg zu gehen und auch ein bisschen was vom OMG-Spot abzubekommen.
Wir sind heute in Ephesos, eine fantastisch erhaltene Stadt aus der griechisch-römischen Periode der Ägäis. Zum Glück ist es noch verhältnismäßig ruhig heute, es ist zum Glück noch volle Nebensaison. Ephesos ist eine der archäologischen Ausgrabungsstätten die es in der Türkei zu einem Must-See geschafft haben. Das hat natürlich Vor und Nachteile (später mehr dazu). An sich sind wir aber völlig begeistert von diesem Ort.

Gleich zu Beginn konnten wir ein sehr gut erhaltenes Theater besichtigen und das allgemein bekannte Highlight der antiken Metropole war auch nicht weit. So konnten wir die Fassade einer atemberaubenden Bibliothek (Celsus-Bibliothek) betrachte. Wir sind einfach begeistert von den noch teilweise intakten bzw. angenehm unauffällig restaurierten Verzierungen und dem beeindruckenden Tor zum Eingang der Agora (Dem antiken Zentrum für Handel, Politik und allem anderen was Gesellschaftlich relevant war).


Was sich für uns aber sogar noch als etwas spannender herausgestellt hat war das sogenannte Terassenhaus. Eine Aneinanderreihung mehrerer antiker Penthouse Luxus-Wohnungen in direkter Nähe zur Bibliothek. Dort gab es, gegen einen kleinen Aufpreis, die am besten erhaltenen Wohnräume aus der antike die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Da konnte man sich so richtig hineinversetzen in den Lifestyle des römischen Adels. Es waren überall noch farbige Wandbemalungen, einzigartige Mosaike und sogar „Graffiti“ von aktuellen Preislisten der wichtigsten Handelswaren zu finden. Es ließ sich also wunderbar fantasieren wie damals z.B. Pläne zur Unabhängigkeit Kleinasiens von den nicht immer beliebten römischen Zentralherrschern bei einem guten Wein oder zu zwanzigst in der Gruppenlatrine geschmiedet wurden.

Das einzige was den Einwohnern damals wie uns heutzutage das wortwörtliche Geschäft in den Latrinen-Diskussionen verderben konnte sind wohl unliebsame Besucher. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein erweist sich als allzu leicht an den Orten der Ausgrabungsstätte die OMG-Charakter haben. Zwar war die Latrine selbst kein solcher Ort, aber schon beim austreten (aus, nicht in den Latrinen!) mussten wir aufpassen nicht plötzlich Teil eines „Ich war hier und bin kulturell interessiert Beweisfotos“ zu werden. Das ein oder andere Mal beschlich mich auch das Gefühl, dass das Hauptmotiv nicht wirklich die so besondere archäologische Stätte war sondern vielmehr das Model dass sich meist in einer beeindruckenden Professionalität vor der Kamera platzierte.
Auch dem Römer vor der Bibliothek gelang der Spagat zwischen seiner historischen Rolle als Legionär und seiner Rolle als Hauptdarsteller millionenfach inszenierter Tötungsdelikte nur mittelmäßig. Spätestens als mal kein Kunde bei ihm war schaffte er es doch wieder ein wenig zurück in die eher mittelprächtige Laune die sicher auch so der ein oder andere Römer in der Antike verspürt haben muss beim bewältigen der zahlreichen Konflikte in und um Ephesos herum.
Aber eigentlich hat es ja auch etwas Gutes dass an einem solchen Ort viele Touristen auch mit unterschiedlichem Interesse und Zielen ankommen. Einerseits kann die Aufarbeitung und besonders gut gelungene Restaurierung von Ephesos bestimmt auch Dank der Einnahmen aus den Ticketverkäufen beibehalten werden. Andererseits trüge es wohl nicht gerade zur Bekanntheit von Ephesos bei wenn alle BesucherInnen ausschließlich Schwarz-Weiß Aufnahmen von bunten römischen Mosaiken auf Instagram posten würden.
Und wem das nicht gefällt, der kann auch im Nachgang zu eine der Winzereien in der Region wechseln, denn
„in ancient times the Romans used to sell wine in this place. That’s the reason why we will go to the wine tasting in the town afterward!“






