Wie es in dem ein oder anderen Artikel sicherlich schon einmal angeklungen wurde ist das Reisen eine spannende, erfüllende und auch ab und zu anstrengende Angelegenheit. Es ermöglicht uns neue Menschen kennenzulernen, neue Orte zu entdecken, neue Fähigkeiten zu erlangen und noch so einiges mehr. Sicherlich hat diese ständige Beschäftigung mit Neuem auch einen Einfluss auf uns, wir haben uns schon in so manchen Aspekten verändert und weiterentwickelt, frische Blickwinkel bekommen und auch den ein oder anderen Fehler gemacht. Nach nunmehr 15 Reisemonaten sind wir wahrscheinlich auch schon aus den Reisekinderschuhen hinausgewachsen, haben alle Fehler die es zu tun galt schon gemacht (#Nachtbus-in-Indien) und kommen also ganz gut zurecht. Doch trotz all dieser gesammelten Erfahrung sind wir im Gegensatz zu den Protagonisten meiner heutigen Geschichte doch noch gerade mal im Raupenstadium unserer Reisefähigkeiten.
Alles begann genau so, wie eine eindrückliche Reisegeschichte eben beginnen muss. Der Wecker klingelte um 5:00 Morgens, wir beide waren eingekuschelt in 3000 Metern Höhe in einem kleinen aber süßen mexikanischen Familienhaus, blinzelten uns einmal mit unseren müden Augen an und stellten den Wecker nochmal auf Snooze. Doch als der Wecker auch nach 10 Minuten noch der Meinung war es sei Zeit aufzustehen gelang es ihm letztlich doch noch unseren Entdeckergeist zu erwecken und keine Viertelstunde später saßen wir beide in unserem klapprigen Mietwagen und beteten, dass der müde Motor uns im ersten Gang über Stock und Stein den steilen Hang hinauftragen würde. Das ganze eine Bergstraße zu nennen wäre vermutlich eine schamlose Übertreibung gewesen, aber oben angekommen hatten wir beide überraschenderweise noch alle vier Gliedmaßen, jedoch in deutlich besser massierterer Verfassung.
Dort oben, auf 3500 Metern Höhe, irgendwo im Bergland Mexikos, wartete ein kleines Wunder auf uns, dessen waren wir uns bewusst, also zogen wir schleunigst die dicken Wanderschuhe über unsere warmen Socken, packten noch einmal ein paar dicke Fließjacken auf unsere Schultern und stapften tapfer im Morgengrauen den waldigen Hang hinauf. Immer weiter, immer höher, immer hechelnder ging es morgens hinauf. Vorbei an der ein oder anderen Infotafel auf spanisch und vorbei auch an den Pfedekothaufen der etwas weniger ambitionierten Besucher des Vortages die sich für die Luxus-Variante “Pferderücken” entschieden hatten. Mit den ersten Sonnenstrahlen flatterte uns in den höheren Ebenen ganz vereinzelt mal ein Schmetterling vorbei, in warm-orangenen Farben wirkten sie wie kleine Hoffnungsfleckchen in einer sonst kalt-düsteren Umgebung. Doch je höher wir kamen umso öfter sahen wir einen orangenen Farbfleck im dunklen Grün, mal mit trägen, müden Flügelschlägen und andernorts dann mit kräftigen, aufgeweckten Schlägen gen Himmel und Wärme.
Nach weiteren 30 Minuten wurde das Dickicht der Tannen um uns herum immer dichter, die Schatten trotz der langsam steigenden Sonne immer dunkler und als wir dann das Ende unseres Pfades erreichten bewegte sich im dunklen Geäst der hohen Bäume mehr als zu erwarten gewesen wäre. Dort oben, an den dünnen Spitzen der Tannen hingen große Ballen voller Blätter, leise raschelnd im Wind. Doch Moment Mal! Zuersteinmal waren das hier Tannen und an jenen wäre ein einzelnes Blatt schon zu viel doch viel verwunderlicher war die Bewegung jener Blätter, welche ein ums andere mal orangefarben aufleuchteten, sich wendeten und dann wieder dunkel vor sich hin schliefen. Denn die Blättertrauben die da über uns hingen waren überhaupt keine Blätter, vielmehr waren es abertausende Schmetterlinge die sich dort gegenseitig im tiefen Frostschlaf einander wärmten. Denn dieser Wald dort hoch oben ist das Ziel von Millionen von Monarchfaltern die dort schon seit Jahrhunderten immer wieder überwintern. Eine Geschichte, die faszinierender nicht sein könnte und die sich hier oben, in dieser frischen und dünnen Luft vor unseren Augen entfaltete.
Denn die Monarchfalter, das sind orangene Schmetterlinge die ungefähr so groß wie eine erwachsene Hand werden, kommen in den Wintermonaten zum Brüten bis nach Mexiko herab. Im Sommer hingegen wandern und tanzen sie in den Wäldern Kanadas herum, wo sie genug Futter und Verwandschaft haben um ihr sommerliches Leben zu genießen. Das eigentlich spannende dabei ist aber, dass Monarchfalter normalerweise nur ein paar wenige Monate leben, eigentlich sogar nur 6-8 Wochen. Damit sie die 4000 Kilometer lange Reise jedoch dennoch Jahr um Jahr schaffen geschieht etwas einmaliges in der Tierwelt. In mehreren Generationen reisen die Falter im Frühjahr und Sommer immer weiter gen Norden, vermehren sich auf dem Weg, sterben nach ein ein-zwei tausend Kilometern und lassen ihre Kinder und Kindeskinder weiter bis nach Kanada flattern. Dort angekommen wird sich erneut im Spätsommer gepaart, doch dieses mal auf eine Weise, dass die neue Generation Schmetterlinge eine Art “Superschmetterling” wird, nämlich eine, die es schafft die gesamte Strecke bis nach Mexiko in einer einzigen Lebensspanne zu bewältigen. Unten angekommen setzen sich die Falter dann nach und nach in den verdienten Ruhestand und harren den Winter in diesen großen Faltertrauben aus, nur um dann im Frühjahr erneut loszuziehen. Dabei schaffen sie es, ein jedes Jahr an genau den selben Ort zurückzukommen und das, obwohl sie zuvor nie dort waren, denn wie erwähnt weilten im Vorjahr gerademal ihre Urgroßeltern in diesen Wäldern. Wie genau die Monarchfalter das schaffen, wie sie die Navigation und den temporären Evolutionssprung bewältigen ist wohl weiterhin eine Frage für künftige Wissenschaftler-Generationen, doch sicher ist, die Monarchfalter sind ohne Zweifel wahre Reiseprofis. Doch nun komme ich zurück zu unserer kleinen Falter-Expedition.
Genauso eng wie die Falter warteten nun auch wir im eisigen Morgen auf die wärmende Sonne, kuschelten uns aneinander und konnten nur zu gut verstehen warum sich die Falter vor uns in so großen Gruppen zusammenkauerten. Doch mit der stärker werdenden Sonne wachten nicht nur wir, sondern nach und nach auch die Falter aus ihrer nächtlichen Starre auf. Zuerst waren es nur einzelne Flügel die sich wendeten, dann ein mutiger Schmetterling der sich in die Luft erhob. Dann ein zweiter und ein dritter. Nach einer langen, kalten Stunde waren es dann schon hunderte Schmetterlinge die fröhlich flügelschlagend in der frischen Bergluft um unsere Köpfe schwirrten. Irgendwann waren dann kaum noch Schmetterlinge an dem Baum vor uns und die Luft war erfüllt vom leisen Flüstern der feinen Flügel, vom Glitzern des Faltertanzes. Ein neuer Tag war angebrochen.
Zeuge eines solchen Naturwunders zu werden hat uns beide tief berührt. Auf den ersten Blick wäre es vielleicht kein besonders spannendes Ereignis. Nur ein paar Schmetterlinge im Wald. Doch mit dem Wissen um diese Reise, dabei sein zu können wie die müden Flügel ein weiteres Mal in die Lüfte kommen war ein Erlebnis das uns so schnell nicht aus dem Kopf flattern wird. Voller tiefer Freude im Gesicht und durch die nun heiße Sonne auch ein bisschen voll vom tiefroten Sonnenbrand wanderten wir wieder den Berghang hinab, beflügelt vom Gesehenen, begeistert vom Erlebten.





