Die Geschichte des vietnamesischen Volkes ist umwoben von vielerlei sagenhaften Kreaturen. Es gibt dort schaurige Geschichten über die Wurzelklaue des südvietnamesischen Säbelhüpfers, quirlige Novellen zur Saigonelle und allerlei verwirrende Literatur zur huesischen Huegelmaus. Doch die gefährlichsten Sagen winden sich um den alten Höhlenwurm Phong Na. Ein Geschöpf, über den zwar viele Mythen bekannt sind, von dem es aber sehr wenige gesicherte Informationen zu erzählen gibt. Doch was zu berichten ist, kann dem herzschwachen Leser durchaus beängstigen, also seid gewarnt! Und an den verwegeneren Leser: Freue dich auf einen Text, der jede Gehirnwindung deinerselbst um 87,5 Grad entwinden wird, nur um sie dann in noch schlimmerem Maße wieder zu verknoten. Denn das ist es, was Phong Na mit jenen zu tun pflegt, die um ihn wissen, die danach streben, sein Erbe zu bewahren.

Tief im Herzen Vietnams spielt sich unsere Geschichte ab. Dort, hinter bizarren Bergformationen, grünen Hügellandschaften, bunten Lampenschirmen und verloren herumschweifenden Gedanken beginnt die traurige Geschichte Phongs. Vor tausenden von Jahren entpuppte sich in all dem urtümlichen Chaos der wilden, vietnamesischen Kultur, ein Wurm im wohl ungünstigsten Moment der Wurmenheit. Inmitten des alle Elemente umfassenden Ringens zwischen den Wassern des Song Con und den Steinmassen des Son Trach entschlüpfte ein winziger Wurm dem schäumenden Emotionen dieses gewaltigen Spektakels. Und, obwohl unbemerkt von den großen Geschöpfen um ihn herum, war es doch ein Ereignis, dass noch weit größere Wellen schlagen würde als dem mit sich selbst beschäftigten Phong zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein muss.

Die ersten Jahrhunderte Phongs waren sicherlich nicht seine einfachsten, gegeben der Tatsache, dass Phong zwar mit einem außergewöhnlichen Intellekt gesegnet war, diesen aber noch lange nicht zu bändigen wusste. Es gab keinerlei Interaktionspartner auf Kriechhöhe, keinerlei Literatur derer er sich bemächtigen konnte und auch sonst eigentlich kaum Ablenkung für sein recht einfaches Dasein als Wurm. Eines Tages stolperte Phong über ein kleines Erdloch bei einem seiner Streifzüge durch das weitläufige Gelände des Song Trach-Gebirges. Nicht viel mehr als ein Elefantenfußabdruck. Doch für den kleinen Wurm war es eine Revolution. “Was, wenn diese Kuhle, diese minimale Vertiefung im tiefen Schlamm, doch noch ein Stückchen breiter wäre, vielleicht eine Wurmbreite Tiefer und gen Osten ausgerichtet?” fragte er sich. Wäre das nicht eines Wurmes seines Formats würdig? Wäre es nicht das, was er so lange Zeit vermisst hatte, ohne es wirklich zu kennen? Könnte das eine Heimat für ihn sein?

Phong beschloss, den Fußabdruck nach seinen Wünschen umzugestalten. Er machte sich daran, die schlammige Kante zu verstärken und brachte sich in mühsamer Arbeit das Graben im Schlamme bei. Nach ein paar Tagen war Phong zwar ein paar Gramm leichter, doch voll des Glückes ob seines neuen Heims, einem Loch im Boden, das zwar dem unwissenden Betrachter nicht auffallen würde, für Phong aber die Reinheit der Natur und des wurmschen Daseins verkörperte wie kein zweites Bauwerk nach ihm. Der perfekte Winkel in dem die Sonne jeden Morgen auf sein Bett strahlte, die Pfütze die sich bei Regenfall in der Mitte des Fußabdrucks bildete und ihn rechtzeitig an seiner Schwanzspitze weckte, die Fitness-Ecke an der er sich jeden Tag ertüchtigte bis ihm der Schweiß seine faltige Haut bis ins regenwurmige verwandelte und die Schlammgrube in der Nord-Ost-Ecke die immer die richtige Temperatur zu haben schien wannimmer er sie aufsuchte. Ja, es war ein einfaches Leben, aber es war auch ein Glückliches. Phong kannte keine Sorgen, kein Leid und keine Trauer füllte in diesen Tagen seine Augen. Die Tage krochen dahin wie im Regen, und Phong verließ sein neues Heim immer seltener.

Die liebsten Tage waren ihm die Regentage, derer es glücklicherweise auch einige gab. Denn immer wenn es regnete verwandelte sich seine Grube in ein angenehmes Bad voller undurchsichtiger Wasserbrühe. Er liebte es, durch das Wasser zu tauchen, dabei nichts zu sehen, aber dennoch genau zu wissen wo er sich gerade befand, denn er kannte seine Pfütze nun mal in und auswendig. Blind zuckte er einmal mit dem Schwanz und befand sich in der Küche, ein zweites Zucken brachte ihn ins Foyer und ein drittes zurück zur Fitness-Ecke. Ein wahr gewordener, feuchter Traum. Er war sich sicher, er hatte das Paradies gefunden. Doch das Paradies hatte leider auch ein paar Kehrseiten. Es gab zum Beispiel nicht immer ausreichend Futter für ihn was ihn dazu zwang, ab und zu große Mengen Futter heranzuschaffen um sich dann im Anschluss wieder möglichst lange ungestört in seiner Pfütze zu verkriechen. Eines Tages, als er wieder einmal auf der mühsamen Jagd nach Nährstoffen war, hörte Phong ein markerschütterndes Rumpeln aus der Richtung seines Heims. Immer wieder rumpelte und krachte es, er hörte schmatzende Geräusche und brechende Äste. Erschrocken kroch er so schnell es ging zurück. Und dann hörte er einen Laut, den er nie wieder vergessen würde. Ein Tröten, ein Urschrei hallte durch das Tal und Phong machte sich nur noch eifriger auf, den Weg zurück zu seiner wunderschönen Pfütze zu finden. Doch als er dort ankam, wo er meinte sein Heim zu beherbergen erstreckte sich vor ihm nur ein riesiger, grauer, stinkender Berg. Ein mehrere Meter langer Rüssel saugte aus seinem extern angelegten Swimming-Pool und ein dicker, hässlicher Fuß lag mitten über seiner jahrelang hergerichteten Veranda. Phong war außer sich vor Wut, doch er konnte seine schrecklichen Gedanken niemandem mitteilen, der Übeltäter, ein besonders dicker Dickhäuter, bemerkte ihn noch nicht ein mal. Innerlich tobend rastete Phong komplett aus, krümmte sich in alle Richtungen und verfluchte den dummen Elefanten für seine Ignoranz gegenüber der Pfützenarchitektur der einheimischen Bevölkerung. Irgendwann während seiner Verzweiflung wurde ihm rot vor den Fühlern und er verlor die Kontrolle über seinen Körper. Da lag er nun, beraubt seiner liebsten Wünsche, ohnmächtig sich seinem Schicksal ergebend.

Von diesem Trauma erholte sich Phong nicht mehr. Auch noch tausende Jahre nach dem Ereignis schossen ihm in unruhigen Nächten die Tröter des Elefanten durch den Kopf, riesige Rüssel rissen ihn regelmäßig aus dem Schlaf. Doch nach einer Weile nahm er es auch ein kleines bisschen sportlich. War die unrechtmäßige Zerstörung seines Eigentums nicht vielleicht ein Hauch des Schicksals, ihn zu noch größeren Bauwerken zu inspirieren? Wollte der große Wurm im Himmel ihn vor eine Mutprobe stellen? Vielleicht sollte er für größeres bestimmt sein. Mit diesen Gedanken in den wurmigen Hirnwindungen begann er seine ambitionierten Pläne. Er sollte etwas gigantisches, etwas unvergessliches Erbauen, so viel hatte er nun verstanden. Von Anfang an war ihm auch klar, es musste eine Höhle, vielleicht ein ganzes Höhlennetz, werden, immerhin lag hier offensichtlich seine Expertise. Hatte er doch noch von keiner anderen Pfütze gehört die so perfekt ausgearbeitet war wie jene, die er beim letzten Schicksalsschlag verlor. Sein Motto lautete in diesen Tagen: Wenn das Leben dir einen Elefanten schickt, mach eine Höhle draus. Und eine Höhle wollte er draus machen, das war gewiss.

Schon nach wenigen Tagen war Phong komplett besessen von seiner neuen Lebensaufgabe. Er machte sich direkt daran, die ersten Höhlen in die Berge um sein ehemaliges Pfützen-Kunstwerk zu errichten. Seine ersten Versuche waren noch relativ stümperhaft, nicht viel mehr als eine kleine Aushöhlung in der über die Jahre hinweg ab und zu eine wilde Hummel ihre Larven setzte. Darauf schaffte er schon ein größeres Loch dass ein Mauerfalke nutzen würde, seine nächste Beute ausfindig zu machen. Doch schon bald wurde Phong besser und besser. Er errichtete eine ebenerdige Höhle für die röchelnden Wildschweine die sogar eine separate Kratz-Säule hatte um dem schweinischen Juckreiz Einhalt zu gebieten. Dann entstand ein erstes Mehrhöhlen-Apartment für Meister Honigmund und seine beiden Bärenfrauen, ein komplexes Kleinsthöhlensystem für den Ameisenbären der mal selbst ein Gefühl dafür bekommen wollte, wie seine tägliche Speise zu leben pflegte und eine Sonderanfertigung mit viel Hängefläche für die lokale Fledermausgruppe die schon lange mit ihrer alten Höhle unzufrieden gewesen war. Phong wurde mit jedem Jahr, mit jeder Höhle die er fertigstellte besser, aber genauso wie sein Ansehen stieg auch seine Hybris mit jedem fertiggestellten Projekt in immer höhere Sphären.

Und so schickte er sich an, die größten Höhlen der Welt aus dem Felsen zu schneiden. Er dachte nun in Dimensionen, die alles überragen würden, was je in der alten Zunft der Höhlenarchitekten denkbar gewesen war. Es sollten die größten, die wunderbarsten, die fantastischsten Höhlen werden die je ein Lebewesen zu Gesicht bekommen hatte. Phong träumte vom Ruhm, der ihm sicher zuteil kommen würde, brächte er es fertig auch nur eine der geplanten Höhlen zu vollenden. Was würden die Elefanten sagen, wie würden sie nur auf die Knie fallen um auch nur einen Blick in eines seiner Kunstwerke erhaschen zu können. Und während Phong in den nächsten Jahrhunderten an seinen Plänen und den dazugehörigen Höhlen arbeitete verging die Zeit für ihn wie im Fluge. Er konstruierte perfekt ausgerichtete Stalaktiten die den morgendlichen Ruf des Uhus einfangen sollten und ihn für die Ewigkeit konservieren sollten. Er gestaltete kilometerlange Labyrinthe aus Kalkstein um anderen Würmern den Eintritt in seine Bauwerke zu erschweren, er wollte schließlich den Ruhm für sich einheimsen.

Doch als er nach einigen tausenden Jahren letztlich der Meinung war, seine Arbeit sei getan musste er bemerken, dass sein Ruhm ihm wohl schon lange abhanden gekommen war. Die letzten Elefanten hatten die Region schon vor einigen Jahrhunderten wieder verlassen und waren maximal noch damit beschäftigt, von Touristen beim Planschen beobachtet zu werden. Niemanden schien seine Arbeit wirklich zu interessieren. Seine großen Höhlen war nur für eine Handvoll Touristen interessant, die meisten machten sich gar nicht erst die Mühe den weiten Weg von den bekannteren Sehenswürdigkeiten bis zu ihnen hinter sich zu bringen. Seine Jahrtausendwerk schien niemanden so richtig zu interessieren. Deprimiert und am Boden zerstört kletterte Phong seine höchste Höhlenwand hinauf, in geübten Schlenkern hüpfte er von Vorsprung zu Vorsprung, blind, wie damals, in seiner allerliebsten Pfütze. Oben angekommen betrachtete er noch ein letztes Mal sein Bauwerk, die Stalaktiten, die Säulen voller Pracht und Anmut, die Lichter der vereinzelten Gäste schwirrten über die Höhlenwände aber keines schien auch nur daran zu denken, sich auf ihn, den großen Erbauer der ganzen Pracht, zu richten. Er ließ eine letzte Träne seine Wange heruntergleiten, schloss die Augen und sprang in den Abgrund.

Ein paar lange Sekunden später leuchtete plötzlich alles um ihn herum in einem klaren, weißen Licht auf. Er öffnete vorsichtig die Augen und sah vor sich einen ebenso kleinen, aber prächtig leuchtenden Regenwurm stehen. “Herzlich Willkommen beim letzten Wurmgericht. Ich werde heute über dich richten, werter Phong. Du hast ja auch lange genug gebraucht um heute vor mich zu treten. Oder sollte ich lieber sagen zu Fallen?” sprach der Leuchtwurm in einer ruhigen und ehrfurchtgebietenden Stimme zu dem völlig verwirrten Phong. “Du hast ein langes Leben gehabt, hast ein paar hübsche Höhlen gebaut aber am Ende hat’s wohl nicht gereicht, nicht wahr?” hakte der Leuchtwurm nach. “Hmm” antwortete Phong verdutzt. “Naja, wie dem auch sei. Du hast im Prinzip 2 Möglichkeiten, die habe ich extra für dich personalisiert. Aber das Paradies ist leider keine davon, da hast du’s ehrlich gesagt ein bisschen vermasselt gerade eben.” - Stille - “Alsoooo. Da wäre die klassische Hölle in die du natürlich gehen könntest. Ooooder du gehst zurück in die Höhle.” - Weitere Stille - “Lustig, oder? Weil es sich reimt und so….”. Phong zeigte sich wenig begeistert und ließ sich Zeit bei der Antwort. “Soll es die Höhle sein?” murmelte er unentschlossen vor sich hin. Der Leuchtwurm hatte einen Moment nicht aufgepasst aber im letzten Moment doch noch das Wort “Höhle” aufgeschnappt. “Na gut, dann ist es die Höhle. Viel Spaß” sagte er kurz angebunden und bevor Phong noch einen Moment Bedenkzeit hatte befand er sich wieder zurück in seiner liebsten Höhle, doch dieses mal in weniger stofflicher Form als kleiner, herumschwirrender Geist.

Seit jenen Tagen spukt der alte Phong durch die zahlreichen Höhlengänge des Son Trach Gebirges und versucht, die Besucher der Höhlen von seinen Bauwerken zu überzeugen. Er schlüpft in die Köpfe so mancher Gäste und versucht dort, ein paar Gehirnwindungen neu zu verknoten um ihnen die wahre Pracht, die wahre Schönheit der Wunder Phongs nahezubringen. Aus unerfindlichen Gründen verspürt seit jenen Tagen jder Tourist einen unterschwelligen Hass auf Elefanten, wenn er aus einer der Höhlen Phongs zurück ins Freie Tritt. Und vermutlich sind auch durch Phongs Geist die vielen Schlaglöcher in den Straßen rund um den Nationalpark zu erklären, die alle eine fein spürbare Ausrichtung gen Osten zu haben scheinen. Und wenn man ganz genau hinsieht findet man auch in den meisten Schlaglöchern spuren einer Fitness-Ecke, die ab und zu noch von den vorbeikommenden Ameisen genutzt wird.