Der alte Matsumoto

Japan ·   ·  4 min zu lesen

Wfffft. Wfffffft. Zischt es durch die Luft. Eine rasiermesserscharfe Klinge schneidet die frische Bergluft entzwei und außer den tänzelnden Schritten Matsumotos ist kaum etwas zu hören. Vor, zurück, hier ein imaginärer Gegner, dort ein Schwertschlag den es abzuwehren gilt. Wie jeden Morgen ist auch heute Matsumoto schon vor der Sonne wach. Es gilt den eisernen Kämpfer-Körper weiter zu stählen und so tanzt er den Schwerttanz mit seinem Katana wie es schon seine Vorfahren und Vor-Vorfahren taten. Die Samurai des Matsumoto-Clans, die diese Burg Stein für Stein, Balken um Balken müsahm errichten ließen. Ein anderer Matsumoto, eine andere Zeit. Damals, als die Samurai noch die Anerkennung des Volkes genossen. Unter edlem Ritter-Ethos stolzierten sie durch die Gassen, die Beschützer der Armen, die Wächter des Rechts. Diener auf ewig, nur dem Daimyo und seinem Shogun untergeben. Ja, das waren andere Zeiten. Diese Burg zeugt noch heute von ihnen. Inmitten der japanischen Alpen, der unbezwingbaren steinernen Riesen, entstanden durch das Ringen der Götter. Umgeben von einem undurchdringlichen Wassergraben, auf einem hohen Steinpodest platziert wurden hier Holzlagen auf Holzlagen gehäuft. Auf dem Giebel thronen seit den ersten Tagen die Shachi, die Fischlöwen die den Bau schon immer vor Feuer und Übel beschützten. Die schräg geschwungenen Mauern reihten sich Meter um Meter in den Himmel. Gerade so massiv wie nötig um ein paar Pfeile abzuhalten, gerade so grazil wie möglich um nicht der Eitelkeit angeklagt zu werden. Lange Pfosten stützen den 6-stöckigen Bau, dicke Dielen als Grundlage für so viele Festlichkeiten, Beratungen und Schwerttänze der großen Männer. Bei einem Tee wurde über Fuji und die Welt diskutiert, Recht gesprochen und das Volk war ihnen sicher dankbar. So majestätisch und ehrfurchtgebietend wie Fuji-San über alle Berge erhob sich auch diese Burg über ihre Ländereien, brachte Reichtum und Wohlstand für alle, die bereit waren sich unterzuordnen.

Knarzend unter seinem Tanz erinnerten die Dielen Matsumoto nun daran, wie sehr sich doch alles verändert hatte. Die mächtige Konstruktion stöhnte unter den Fußtritten des Kriegers wie die Rolle der Samurai unter einer sich verändernden Welt. Nach den letzten ruhmreichen Tagen der Edo-Periode, der isolierten Zeit kontinuierlichen Friedens, waren sie gekommen. Die Amerikaner unter Commodore Matthew Perry, die Franzosen und Russen direkt hinterher. Einen aufoktruierten “Handel” hatten sie gebracht, mit ihren stählernen Fischen und explodierenden Drachen. Es war das Ende der Samurai, die Burg musste neu gedacht werden, neu verteidigt, neu besetzt. So isoliert wie sie einst im Wassergraben stand war doch die Wirklichkeit an ihnen vorbeigezogen, die äußere Gefahr schon viel zu nah herangerückt. Es kamen die ersten Kanonen hinzu, Schießpulver lagerte nun in der Zwischenebene die einst nur für Holz und Tee gedacht war. Doch was bringt eine Kanone gegen eine gesellschaftliche Lawine? Was, wenn sich das Volk gegen die Tradition entscheidet, gegen die uralte Ordnung und auch gegen seine Familie? Matsumotos Vorfahren waren gezwungen nach und nach alle Bräuche abzulegen, die Frisur mit der hohen Stirn, das offen getragene Katana, die Rechtssprechung ja, selbst das bewaffnete Gefolge wurde ihnen unter Kaiser Meiji genommen. Alles im Namen des Friedens mit den großen Mächten, im Namen der Erneuerung und Verwestlichung. Die ehemaligen Händler, die untersten der unteren kamen zu immer mehr Macht, profitierten von Handel und vom Hunger der Kriegstreiberei. So tauschte sich selbst ein einfacher Händler schnell zu Geld und Reichtum und die Matsumotos verloren jenen nur allzu früh. Das alles führte das Reich, und damit auch die Burg, immer tiefer in eine finstere Periode. Krieg um Russland, Krieg um die Mandschurei, Krieg gegen den Westen und Krieg gegen die Samurai.

Letztlich kam alles zum Stillstand, zum Tiefpunkt des Landes. Auch Matsumotos Familie war am Ende. Es gab keinen Nutzen mehr für eine immerscharfe Klinge, keinen Drang nach Schutz oder einer hitzigen Diskussion. Doch mit dem Ende des großen Krieges, mit der Schande der Niederlage und dem Niederlegen aller Waffen brach eine neue Zeit an. Aus der Asche Hiroshimas erwachte ein Phönix der Moderne. Japans Industrie boomte, neue Produktionen wurden geschaffen und die Gesellschaft fand eine neue Bestimmung in der Arbeit. Am Ende fand selbst Matsumoto seinen Weg.

Also macht er sich nun, nach seinem Schwerttanz, auf. Zieht sich die Gummistiefel bis weit über den Kimono und stapft tapfer los in den Kampf. Sein Katana an der Hüfte grüßt er, am Flussbett angekommen, seinen Aufseher und beginnt die Arbeit. Wfffft. Wffffffft. Singt seine scharfe Klinge nun wieder. Mit jedem Schwung etwas schärfer, etwas grüner als zuvor. Denn heute zerteilt er die Wasabiknollen der großen Wasabifarm im Fluss. Neben ihm stehen nun seine ehemaligen Rivalen, knietief im Morast der Bergquelle und schlagen jedes Leben aus der beliebten Knolle. Grüner Knollensaft tropft in Strömen über seinen angestrengten Handrücken und Matsumoto lächelt tief in sich hinein. Er hat endlich wieder eine Bestimmung und seine Klinge ist schärfer denn je zuvor.

Robin

Der Ersteller und Maintainer dieses Blogs. Außerdem scheint er gerne zu jonglieren...

Copyright 2025 by Herumschlenkerei