Das Dschungelcamp

Mittelamerika ·   ·  8 min zu lesen

Einmal wie Mogli an den Lianen entlang hangeln und im dichten Regenwald über Schlangen und Affen schwingen. Einmal im unberührten Urwald die Affen beobachten, einem Leoparden nachspionieren und nur mit Hängematte und viel, sehr viel, Moskitospray in der Hängematte übernachten, über dem offenen Feuer einen Leguan grillen und bis in die tiefe Nacht hinein aus dem Dunkeln von blinzelnden Augen beobachtet werden. Das war ungefähr meine Vorstellung von einer Regenwaldtour als Kind. Und obwohl wir schon in Peru im Amazonasgebiet waren, in Nepal Nashörner “gejagt” und in Indien Tiger beobachtet haben bin ich bis heute noch nicht diesen Träumereien gerecht geworden. Als wir dann in Costa Rica ankamen, einem Land, dessen Natur schon nach Urwald-Abenteuer ruft und genau für diese Tourismus-Erfahrungen berühmt schien, waren wir denn also auch bereit für ein neuerliches Dschungelbuch-Reenactment. Mühsam war denn allerdings auch nur die Anfahrt, denn in Costa Rica (übersetzt: Reiche Küste) scheint es ähnlich wie in Deutschland fast schon Vorraussetzung ein eigenes Auto zu besitzen um einfach von A nach B zu kommen. Wir, als Budget-Traveller, waren aber auf die öffentliche Infrastruktur angewiesen und mussten so hoffen, irgendwo an einer Autobahn genau zur richtigen Zeit den genau richtigen Bus per Hand anzuhalten um denn noch am selben Tag tief in den Süden zu Reisen, zum Corcovado-Nationalpark. Das Bus-System Costa Ricas war schon vom ersten Tage an ein herber Schlag in unsere so von schnellen und verlässlichen Bussen verwöhnten Sitzknochen. Keine Google-Maps-Integration, keine einzige einheitliche Website mit verlässlichen Informationen firmenübergreifend und nur super wenige Busse insgesamt machten es nicht gerade zum Vergnügen dem Dschungel etwas näher zu kommen. Aber immerhin konnte man sich das lange Warten an lauten Straßen unter eher verschlossenen und abweisenden Einheimischen mit dem 4-Dollar Wasser “versüßen”. Costa Rica, oder auch, Costa para Ricas.

Naja, aber was wäre ein Dschungelabenteuer ohne die obligatorischen anfänglichen Hürden. So kamen wir denn letzten Endes am Ende der Welt an, trafen uns am Abend vor unserer zweitägigen Tour noch einmal mit unserem Guide um ihm schweren Herzens auch noch unser letztes Geld für die teure Tour zu überreichen und ihm ein paar letzte hoffentlich überlebenswichtigen Informationen abzugewinnen. Am nächsten Morgen ging es dann auch um unchristliche 4 Stunden nach Mitternacht los, hinein in das voll gestopfte Boot, bis an die Zähne bewaffnet für den kommenden Überlebenskampf und hellwach, denn egal wie früh es ist, ein wildgewordener Tapir ist schon vor dir wach also sei allzeit bereit! Nach unserer nassen Landung am wilden Ufer ging es für uns ersteinmal mit vielleicht einhundert weiteren Abenteurern zur Registrierung, Gepäckkontrolle und dann letztlich zur Ranch. Schon auf dem Weg wurde uns so langsam klar dass das, was wir uns vorgestellt hatten, wohl nicht so ganz dem entsprechen würde was die nächsten Tage für uns bringen würden. Uns erwartete ein riesiger Schlafsaal für hunderten Übernachtungsgästen und drei warme Mahlzeiten am Tag. Nicht gerade ein Lagerfeuer unter Moskitonetz, aber wenigstens rechtfertigte die Ranch, eine auf Holzstelen gebaute Konstruktion des Urwald-Tourismus, den Eintrittspreis und unsere Schwabenherzen wussten nicht so recht ob sie feiern oder weinen sollten. Doch auch wenn die Unterkunft ausnahmsweise mal unsere Erwartungen übertraf war doch der Corcovado-Nationalpark selbst genau jener unberührte, wilde, dichte und ehrlicherweise auch extrem schwüle Fleckchen Erde den wir uns erhofft hatten. So fanden wir dann auch die ein oder andere magische Begegnung in diesem Wald, der nur dank eines spannenden Projektes aus den Händen der alten Goldschürfer entrissen werden konnte.

Wir wanderten einige Male auf unterschiedlichsten, aber insgesamt recht belaufenen, Pfaden durch das dichte Grün und jede dieser Wanderungen brachte ihre eigenen Wunder hervor. Einmal zum Beispiel regnete es plötzlich wilde Cashew-Nüsse und weit über unseren Köpfen hinter verschiedensten Ebenen von Blattwerk waren Affen dabei, die gepflückten Nüsse mal zu verspeisen mal aus den Händen zu verlieren. Wir beobachteten auch “Pippi-Langstrumpf-Affen” miteinander die Äste herumtanzen und beim genauen Hinschauen entdeckte unser Guide sogar eine Boa Constrictor auf einem dicken Ast gemütlich vor sich hin schlafend. Mal konnten wir winzige Vögelchen stolze Lieder trällern hören und ihr Federkleid präsentieren, mal einen ungepflegten jugendlichen Faultier-Teenie, den nächtlichen Rausch ausschlafend, sehen. Ein anderes Mal huschten wilde Schweinchen (Pecarys) um die Ecke oder Spinnenaffen über unsere Köpfe. Einmal sahen wir wohl sogar eine seltene Ameisenbären-Art im Blätterdickicht. Doch anstatt eines schönen Tieres mit der typischen Ameisen-Staubsauger-Nase sahen wir nur ein Wollknäuel. Wir waren wohl auf eine ganz besondere Art Ameisenbär gestoßen. Eine, die zumindest den später gezeigten Fotos nach zu Urteilen, eher ein geeignetes Exemplar für eine plüschige Kuscheltiersammlung gewesen wäre als einen interessanten und vielschichtigen Ameisenverschlinger. (Unserer war ein Silky Anteater). Nicht nur einmal bekamen wir aber von den oft nachtaktiven Tieren nur einen kleinen Teil zu Gesicht. Wir sahen zum Beispiel einen Eulen-Hintern, eine sich kaum bewegende Feder eines Papageien und das ein oder andere unidentifzierbare Wollknäuel wie eben jenen Ameisen-Kuschelbär.

Nicht nur unsere Füße schmerzten nach den stundenlangen Wanderungen sondern besonders die Nacken, damit beschäftigt aufmerksam jede Regung und jedes Geräusch im Wald zu verfolgen, spürten wir schnell. Da kamen uns die gelegentlichen Pausen ganz recht, bei denen wir die ebenso müden Tapire im Schlamm träumend beobachten können. Was träumt wohl ein Tapir, fragten wir uns ein ums andere mal bei den süßen Zuckungen und dem angestrengten Schnaufen das sie immer wieder von sich gaben. Zu gerne hätten wir uns einfach in die weiche Schlammgrube dazugelegt und ein paar Minuten geträumt, doch dafür war normalerweise keine Zeit denn während wir warteten fand unser Guide mit seinen Adleraugen für gewöhnlich gleich den nächsten schönen Vogel.

Ein anderes Mal wanderten wir ehrfürchtig durch den sogenannten Primärwald, also einen Wald, der schon seit mindestens 250 Jahren unangetastet seine Blätter gen Himmel schickt. Dort waren zwar weit weniger große Tiere zu sehen, denn das dichte Grün lies nicht viel Spielraum für neugierige Augen, aber dennoch war es zumindest für mich eine der eindrücklichsten Erfahrungen in Costa Rica. Gigantische Bäume ragten zu allen Seiten über unsere Köpfe, bildeten ein undurchdringliches Dach durch das kaum Licht herabkam. Einen solch eindrücklichen Wald, völlig frei von menschlicher Einflussnahme und friedlich wie kaum ein anderer, habe ich noch nie zuvor erlebt. Ich konnte meinen Blick gar nicht abwenden von den wunderhaften Bäumen die einer wie der andere bewiesen, wie viel Kraft und Durchhaltevermögen die Natur haben kann, wie klein und unbedeutend wir eigentlich im Gegensatz dazu sein sollten, wie harmonisch die Welt sein könnte. Ganz im Gegensatz zu mir war unser Guide allerdings weit weniger beeindruckt und schickte uns nach ein paar träumerischen Kilometern wieder zurück in den “normalen” Urwald wo wir dann auch ein Tier fanden, dass ihn so verzückte dass er noch Stunden danach mit einem Lächeln im Gesicht jede Frage wieder offen und freundlich beantwortete. Aufgeregt wie ein Kind zeigte er mit seinem Teleskop auf einen Ast wo, zumindest für den Laien aus Deutschland, einfach nur ein weiterer Vogel saß. Und ja, sicher, Vögel sind toll. Vögel haben schöne Geräusche, schöne Federn, schöne Schnäbel und alles. Aber am Ende sind sie doch auch alle irgendwie ein bisschen gleich. Mal groß, mal klein, mal gelb mal braun. Mal können sie reden, mal nur krächzen dass einem die Ohren ausfallen. Als unser Guide sagte dass der Vogel, ein “Ornate Hawk-Eagle”, noch viel seltener sei als die Sichtung eines Leoparden waren wir bestenfalls mittelmäßig beeindruckt. Ohne Zweifel wäre uns ein Leopard oder ein Puma lieber gewesen, aber in die vor Freude feuchten Augen unseres Guides blickend wagten wir es nicht, ihm das so direkt zu sagen und lobten nur das “tolle” Federkleid und den besonders schön gekrümmten Schnabel des Raubtiers.

Vielleicht, aber das wäre natürlich auch ein wenig unfair zu behaupten, sind unsere Träume ein wenig gecrasht wie das Flugzeug dass vor 50 Jahren im Rahmen einer Dokumentation über dem Corcovado-Nationalpark abstürzte. Die Natur hat uns natürlich keineswegs enttäuscht, wir haben alle Tiere gesehen die sich ein kleiner Junge damals nur hätte wünschen können, und noch so einige mehr. Wir haben Abenteuer erlebt und genau den Dschungel gefunden, den man sich zuvor vorgestellt hatte. Doch umsonst war die Tour sicherlich nicht und die Einsamkeit und Unberührtheit die wir uns erträumt hatten fanden wir ebenso wenig. Vielmehr waren wir nur eine von zig Gruppen die auf recht ausgetretenen Pfaden ihre weiten Kreise um die Corcovado-Ranch drehten. Doch letztendlich hat uns der Corcovado auch einiges gelehrt, er hat uns viele Fotos und noch viel mehr Schweiß gekostet, wir sind nun reicher an Erinnerungen und reifer als je zuvor für ein wenig Zweisamkeit in der Karibik. Wir haben genug Brüllaffen und Papageienschreie für unser Leben angehäuft und unsere Nacken sind stärker denn je.

Robin

Der Ersteller und Maintainer dieses Blogs. Außerdem scheint er gerne zu jonglieren...

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