Buddhas Purzeltag

Korea ·   ·  7 min zu lesen

Die ganze Stadt ist mit bunten Laternen behängt, an jeder Ecke stehen Stände und Menschen mit DIY-Laternen und alle schauen noch etwas glücklicher und freundlicher als normalerweise? Jap, es ist wohl wieder Zeit für einen Feiertag. Holt die Kerzen raus, ladet eure Kamera-Akkus auf, zieht euch warm an: Heute ist das Lotus Lantern Festival in Seoul. Dieser uralte Feiertag an dem, aus irgendeinem Grund schon eine Woche vor dem eigentlichen Datum, der Tag gefeiert wird, an dem Buddha geboren wurde. Wir haben uns heute extra schick herausgeputzt und versucht, für euch ein bisschen von dieser buddhistischen Feierstimmung aufzufangen.

Die ersten Anzeichen für den baldigen Buddha-Purzeltag waren ja eigentlich schon vor 1-2 Wochen zu sehen. In jedem buddhistischen Tempel zu dem wir kamen, und das waren wahrlich viele, wurden hunderte bunte Lampen über die Vorhöfe gespannt. Die süßen Lämpchen, jede Einzelne mit einem dicklichen Comic-Buddha beschriftet, sehen zwar schön aus, versperren aber meistens auch den direkt Blick auf die altehrwürdigen Tempelgebäude dahinter und haben mir als Fotografen eher Kopfzerbrechen als Freude bereitet. Nichts ist schwerer als zu versuchen, die Kamera auf Zehenspitzen stehend mit ausgestrecktem Arm zu betätigen die Lampions aus dem Foto zu manövrieren aber gleichzeitig ein gerades Bild zu bekommen. Nach dem zehnten Versuch gebe ich mich dann meist mit schmerzenden Zehen geschlagen und begnüge mich damit, die Lampendecke oder wenigstens ein kleines, altes Türchen mit schöner buddhistischer Beschriftung abzulichten.

Am Tag des Festivals selbst wurde die Aufregung dann aber spürbar größer. Eine zentrale Straße Seouls wurde komplett vom Stadtverkehr befreit und wurde über den Tag hinweg aufwändig präpariert mit Plastiksitzen für die Zuschauer, Kamera-Türmen für die Remote-Zuschauer und der Befreiung jedweden Hindernisses für den späteren Umzug. Alle 10 Meter gab es einen Info-Stand zu Buddha, einen Ich-Baue-Eine-Eigene-Laterne-Zelt oder einfach nur einen Verkäufer der köstlichen Zimt-Pancakes die es hier in Korea so oft gibt. (Achtung, eine kochende Zucker-Zimt-Nuss-Mischung ist auch noch nach 2 Minuten extrem heiß am Gaumen!). Doch auch im scheinbaren Ausnahmezustand war es den KoreanerInnen wichtig, die Ordnung zu bewahren. Generell könnte man sagen dass wir in Korea eine Kultur gefunden haben, die noch etwas regelverliebter ist als die deutsche. Hier wird sogar geregelt auf welcher Seite des Zebrastreifens du über die Straße zu gehen hast. Bis heute haben wir niemanden gesehen der bei einer roten Ampel einfach so über die Straße gegangen ist, welch ein Kontrast zum Ampel- und Regelbefreiten Verkehr in Indien!! Ja, selbst wenn die Straße komplett verkehrsberuhigt ist wie eben heute, am Tag des großen Umzugs, warteten die KoreanerInnen und damit auch wir leidgeplagten, ungeduldigen Touristen, auf das grüne Männchen das uns erlaubte, die leere Straße zu überqueren.

Die eigentliche Kunst beim Lotus-Festival ist es aber, das richtige Timing für die Stuhl-Wahl zu erhaschen. Während 2 Stunden vor dem Umzug noch hauptsächlich unerfahrene Touristen auf ihnen nicht erlaubten Plätzen saßen und wir uns dadurch ermutigt noch auf den Weg machten, einen Zimt-Pancake zu kaufen, waren bei unserer Rückkehr 10 Minuten später nur noch ein oder zwei Stühle in der zweiten Reihe frei. Von unserem Glück beseelt, nicht nocheinmal 10 Minuten später nach einem Platz zu suchen sprinteten wir also auf die letzten Stühle zu und schafften es gerade noch rechtzeitig zu zwei leeren Sitzen. So konnten wir die nächsten Stunden unsere schmerzenden Zehen noch einmal entspannen lassen, bis es dann bei Einbruch der Dunkelheit mit dem Umzug los ging.

Schon lange bevor wir die ersten Laternen zu Gesicht bekamen wurde die Anspannung im Publikum deutlich spürbarer. Unsere Nachbarn hatten natürlich nebenbei noch den Livestream am Handy offen um auch ja auf das Spektakel vorbereitet zu sein, sollte es denn demnächst zu uns kommen. Für einen kurzen Moment ging ein Raunen durch das Publikum und nach ein paar Augenblicken gespannten Wartens war es dann soweit. Da kamen die ersten Laternen um die Ecke. Stolz strahlten sie dort, getragen von tausenden freiwilligen Menschen die nicht weniger stolz strahlten, und schritten langsam an uns vorbei. Begleitet von lauten “Ohs” und “Ahs” des Publikums sahen wir Laternen in wirklich jeder Form und Couleur. Mal waren es kleine, gelbe Papier-Laternen mit winzigen Beschriftungen, mal meterhohe Papier-Statuen von Buddha oder irgendeiner anderen wichtigen Begebenheit aus dem Leben dieses immer-lächelnden Heiligen. Da waren Papier-Schiffe in Originalgröße, Phönixe die in warmen Farben an uns vorbei flogen und das große Highlight waren natürlich die gigantischen Papierdrachen die sich über 20 Meter an den staunenden Zuschauern entlang schlängelten und ab und zu sogar Feuer spien. Wie auch bei deutschen Umzügen war der Lotus-Umzug aufgeteilt in unterschiedliche Gruppen und Bereiche. Nicht nur einmal wanderten große Gruppen von buddhistischen Mönchen an uns vorbei, gefolgt von Schulklassen aus dem Inland Koreas oder den bunt gemischten Landesvertretungen jedes buddhistischen Landes. Es wanderten und winkten dort Kleinkinder und Greise, Jugendliche lächelten in die Menge ebenso wie Senioren und Eltern.

Besonders schön fanden wir auch, dass hier jede noch so kleine Gruppe, jede Teilnehmerin vom Publikum Stunde um Stunde hinweg gelobt wurde. Nichts war ausdauernder als die koreanische Großmutter die neben uns saß und gleich mehrere Stunden Beifall klatschte, den jungen Leuten zuwinkte und immer wieder Lob rief. Wo andernorts nach vielleicht 30 Minuten die Luft raus wäre, ging es in Korea erst so richtig los. Natürlich wurde jeder Drache bestaunt, aber fast noch liebevoller und begeisterter war das Publikum von den kleinen, gewöhnlichen Lampentragenden und Gruppen. Wo in Deutschland das Publikum nach einer Stunde maximal noch wegen den geworfenen Süßigkeiten am Straßenrand steht freute sich hier ausnahmslos jeder über den wirklich nicht mehr abbrechenden Strom neuer Laternen-Gruppen, selbst ohne Zuckergeschenke die wir nebenbei bemerkt ziemlich vermissten. Das ist vermutlich etwas, das uns bisher auch im Alltag immer wieder schön aufgefallen ist. In Korea ist das direkte Zeigen von Dankbarkeit und Faszination viel offener und freier etabliert als sonst wo. Selten hat ein Straßenkünstler, und wenn er nur die billigsten Münz-Tricks zeigt, mehr Beifall und laute Jauchzer bekommen als in Korea. Als ich einmal nur für mich jonglierte stand in Null-Komma-Nichts eine große Menschentraube um mich herum und beklatschte jeden noch so einfach geworfenen Ball. Selbst wenn mir etwas nicht gelang war die Menge außer sich und freute sich herzzerreißend ob der kläglichen Darstellung. Umso mehr noch bei diesem riesigen Laternen-Umzug. Frohlockend freute man sich über jedes Lämpchen das da vorbeigetragen wurde. Und war es noch so armselig oder kaputt, nichts war zu schade für einen weiteren Freudenschrei unserer betagten Nachbarin.

Nach ein paar Stunden flaute dann der ewige Strom feuriger Laternendrachen nach und nach ab. Die Abstände zwischen den Gruppen wurden größer, die Kerzen brannten schon an der ein oder anderen Stelle etwas weniger euphorisch und auch die Menschenmenge jauchzte nun nur eine kaum spürbare Nuance leiser. Es war ein aufregender Tag, die Mundwinkel und Handflächen waren taub vom Applaus und die Augen glitzerten noch in der Erinnerung an die feurigen Nüstern der wilden Drachen. Das Festival neigte sich dem Ende zu und wir, mittlerweile halb verfroren, brachen unser Lager ab um noch ein letztes Mal an der roten Ampel zu warten. Geduldig standen wir alleine mitten in der Nacht dort bis uns der grüne Ampel-Drache das Signal gab, in unsere Betten zu fallen. Vor unseren inneren Augen flogen noch einmal ein paar rote Vögel über die Zimmerdecke und Buddha höchstselbst gesellte sich zu uns und lächelte uns zufrieden in einen tiefen Schlaf.

Robin

Der Ersteller und Maintainer dieses Blogs. Außerdem scheint er gerne zu jonglieren...

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